Falsche Fliege im BernsteinGab dies den Ansporn zu den großen imponierenden Fälschungen der letzten Jahre? Vor Jahrzenten erregte die Fälschung des menschenähnlichen Schädels von Piltdown großes Aufsehen. Jetzt wurde eine Fliege im Bernstein als Präparat eines Betrügers entlarvt. In den Sammlungen des Naturhistorischen Museums in London lag seit 70 Jahren eine Bernstein-Inkluse, die eine Fliege enthielt. Das Besondere daran war, dass die Art sich anscheinend in den letzten 38 Millionen Jahren evolutionär überhaupt nicht verändert hatte: Fannis scalaris existiert noch heute im absolut gleichen Habitus. Das hatte 1966 der bekannte Entomologe Willi Hennig nach eingehender Untersuchung bestätigt, und ein Standardwerk der Paläontologie war noch 1992 auf diese Besonderheit eingegangen. Die Überraschung kam, als der Student Andrew Ross das Fossil für eine Arbeit über alte Insekten auswertete. Er betrachtete das Stück unter dem Mikroskop, wobei sich durch die Erwärmung Risse im Bernstein zeigten. Ross fand daraufhin eine feine Grenzlinie und einen Hohlraum, der mit Harz aufgefüllt war: Man hatte die Fliege nachträglich in den Bernstein eingefügt, eine außerordentlich fachkundige Fälschung. Bei der Suche nach dem Betrüger stieß man auf den deutschen Entomologen H. F. Loew, dessen Sammlung das Museum 1922 erworben hatte. Von wem Loew das Stück erhielt, ist nicht mehr festzustellen, es taucht in seinen Listen 1850 zum ersten Mal auf. Mitte des vorigen Jahrhunderts war naturkundliches Sammeln sehr beliebt, und die Preise für kostbare Funde lagen hoch. Deshalb wurden gerade Bernstein-Inklusen oft gefälscht. Sicherlich hat der Betrüger in der Zeit vor Darwin nicht geahnt, welche Turbulenzen er in der Wissenschaft auslösen würde, als er eine Fliege fing und in den Bernstein steckte: 38 Millionen Jahre Evolution sollten spurlos an ihr vorübergegangen sein.New Scientist 140, Nr. 1899, S. 4 © Bernstein Museum Bad Füssing